Arbeitsdruckmessung unter einem nicht nachgiebigen FISCHER-Verband im Vergleich zu einem Unterschenkel-Kompressionsstrumpf der Kompressionsklasse 2

M. Holtzmann

Privatärztliche Ambulanz für Venenheilkunde
Stuttgart

Veröffentlicht am: 29. März 2013

Schlüsselworte: Arbeitsdruck, Ruhedruck, nicht nachgiebiger Kompressionsverband, Fischer-Verband, medizinischer Kompressionsstrumpf

M. Holtzmann

Privatärztliche Ambulanz für Venenheilkunde
Stuttgart

Veröffentlicht am: 29. März 2013

Schlüsselworte: Arbeitsdruck, Ruhedruck, nicht nachgiebiger Kompressionsverband, Fischer-Verband, medizinischer Kompressionsstrumpf

Zusammenfassung
Ziel: Mit der technischen Weiterentwicklung ist es in neuerer Zeit möglich geworden die Druckentwicklung unter Kompressionshilfsmitteln beim therapeutischen flotten Gehen zu messen. Theoretisch müsste dieser Arbeitsdruck unter einem nicht nachgiebigen Verband (Fischer-Verband) wesentlich höher ansteigen als unter einem nachgiebigen Kompressionsmedium (Strumpf).
Methoden: Messung der Druckverläufe mit der PIVI-Sonde beim flotten Gehen (7 km/h )im freien Gelände an Probanden-Beinen unter Fischer-Verbänden (nicht nachgiebig) und unter Kompressionsklasse 2 Unterschenkelstrümpfen (nachgiebig).
Ergebnisse: Die Arbeitsdruckspitzen beim flotten Gehen ( 7 km/h ) in der Ebene steigen unter dem Fischerverband bei jedem Schritt periodisch von 30 bis 220 mmHg. Der Arbeitsdruck unter einem Kompressionsklasse 2- Strumpf steigt bei jedem Schritt nur bis 80 mm Hg.
Schlussfolgerung:

Die hohen Arbeitsdruckspitzen unter einem Fischerverband sind in der Lage das tiefe Venensystem wirkungsvoll zu beeinflussen. Der periodische Druckwechsel zwischen Ruhe (30 mm Hg) und Arbeitsdruck (220 mm Hg) erzeugt eine enorme Gefäß- und Gewebedurchflutung.

Entscheidend für die therapeutische Wirkung eines Kompressions-Mediums ist die Höhe des Arbeitsdrucks bzw. die Größe der Amplitude zwischen möglichst niedrigem Ruhedruck und möglichst hohem Arbeitsdruck. Die Arbeitsdruckspitzen wirken etwa 1/10 Sekunde intermittierend ein. Die 220 mm Hg Druckspitzen des Fischerverbandes haben bei dieser kurzen Einwirkzeit keine negative Auswirkungen für die druckbetroffenen Gewebe. Jedoch wird das tiefe Venensystem als Zielstruktur effektiv erreicht.

Der intermittierende Druckanstieg ist physikalisch konsequenzenreich, da sich Blut nicht wie Wasser verhält. Das Blut, bzw. Blutplasma ist eine "nicht- Newtonsche" Flüssigkeit. Blut wird im Gegensatz zu Wasser bei Druckanstieg flüssiger.(11)

Die hier erstmals nachgewiesenen Rekord Arbeitsdruckspitzen unter einem nicht-nachgiebigen Verbandsystem beweisen die therapeutische Überlegenheit gegenüber nachgiebigen Kompressionsmedien.

Ziel:

Schon 1960 hatten van der Molen (9) und 1967 Haid (4,5) die Druckverhältnisse von Kompressionsverbänden und Gummistrümpfen untersucht. Die damaligen technischen Möglichkeiten ließen nur eine Druckbeobachtung im Stehen, Sitzen und Liegen oder beim Zehenstand zu. Die verwendeten Druckmesser waren zu träge oder lieferten zu wenig Daten pro Zeiteinheit um die relevanten Druckspitzen zu registrieren. Erst in jüngerer Zeit wurden Drucksonden entwickelt (7), die eine dynamische in vivo Langzeitmessung am vom Laufband unabhängigen mobilen Patientenbein möglich machen.

Theoretisch muss der Anpressdruck eines starren Verbandes wesentlich höher in der Phase der Muskelarbeit ansteigen als bisher bei nachgiebigen Materialien (Strümpfen, Binden) gemessen und publiziert wurde.
Ziel dieser Arbeit war es, diese theoretische Überlegenheit nicht nachgiebiger Verbände (Fischer-Verband) anhand einer Druckentwicklungsmessung beim therapeutischen Gehen im Vergleich zu nachgiebigen Systemen (Kompressionsstrumpf) zu beweisen.

Methoden:

Für meine mobilen Messungen (durchgeführt schon im Jahre 2000) verwendete ich das vom Mammendorfer Institut für Physik und Medizin in Zusammenarbeit mit der Universitätshautklinik Tübingen (7) entwickelte Druckmesssystem PIVI.

Druckmesssystem PIVI

Dieses System wurde speziell zur Erfassung der Kompressionsdrucke unter Kompressionsstrümpfen und Verbänden geschaffen. Meine ersten Messreihen unter dem Zinkleimverband nach HEINRICH FISCHER zeigten so hohe Arbeitsdruckspitzen, dass das Messbereichsmaximum von 200 mmHg des Original-Gerätes auf 400 mmHg erweitert werden musste.

Das PIVI-System besteht aus einer Mikrosonde mit einem Außendurchmesser von 6,2 mm, einer Dicke von 2,6 mm und einem Durchmesser des drucksensitiven Fensters von 4,2 mm.

Mikrosonde PIVI

Der Druckaufnehmer arbeitet als Halbleiter auf piezo-resistiver Basis. Die Datensammelfrequenz der Mikrosonde liegt mit 100 Hertz ausgesprochen hoch und ermöglicht damit eine optimale Messgenauigkeit auch bei sehr raschen dynamischen Bewegungsabläufen.

Der Sensor (Druckwandler) ist über ein Kabel mit einem Mikroprozessor und einer Monitoreinheit (Handy) zum Ablesen der Drücke (3-stellig, digital) verbunden.

Mikroprozessor PIVI
Display Handy PIVI

Die Anzeigefrequenz im Display des Handys liegt bei 4 Werten pro Sekunde. Diese 4 Hertz sind gerade noch ausreichend um bei hohen Gehgeschwindigkeiten (6-8 km/h) die relevanten Druckspitzen anzeigen zu können.

Display 3-stellig

Die geringe Größe der Sonde verhindert eine Druckverfälschung in Folge Umfangveränderung des Beins (3). Die Messwertstreubreite ist im Rahmen von +/- 2 mm Hg bei Temperaturschwankungen von +10 – +40 °C konstant.

Der Mikroprozessor (8,2 cm) wurde am Probanden fixiert und über ein low voltage Computerkabel (2 m) mit der Monitoreinheit 14 x 8 x 3,5 cm verbunden. Energie liefert eine integrierte 6 Volt-Blockbatterie.

Low Voltage Kabel
Mikrosensor PIVI

Während der Messwerterhebungen, d.h. beim flotten Laufen (7 km/h) wurde der Druckwertfluss auf dem Display des Handys mit einer Digital-Videokamera gefilmt. Zur Auswertung konnten diese Videoaufnahmen in Zeitlupe abgespielt werden.

Der Anpressdruck unter dem Unterschenkelkompressionsstrumpf der Kompressionsklasse 2 steigt auf 40 mm Hg in der stehenden und sitzenden Position.

Somit wurde beim Anlegen der Fischer-Verbände ebenfalls 40 mm Hg als Anlageruhedruck gewählt.

Die Drucksonde wurde am B-Maß medial, 1cm dorsal der Tibiakante platziert. Hier haben historisch gesehen die meisten Druckmessungen ebenfalls ihren Platz gehabt.

Die Überprüfung, der von der Pivisonde erfassten Druckwerte geschah mit einem geeichten Blutdruckmessgerät. Die Manschette des Blutdruckmessgerätes wurde über der Pivisonde auf dem Bein platziert. Hernach Aufpumpen der Bluckdruckmessmanschette auf verschiedene Probedrucke. Pivisonde und Blutdruckmanometer zeigten jederzeit exakt den selben Druckwert in mm Hg an.

Charakterisierung des Messunterschenkels: männlicher Proband, Körpergröße 181 cm, Gewicht 76 kg, hellhäutiger Westeuropäer, Alter 44 Jahre, gesundes Bein, d.h. kein prae- oder subfasciales Ödem.

Material:

1. Verbandmaterial:

Nicht nachgiebige Zinkleimbinde

Nicht nachgiebige Zinkleimbinden 10 m x 10 cm, Varicex T von Lohmann & Rauscher. Diese Binde wird mehrschichtig nach der Fischer-Methode anmodelliert.

Darüber eine Kurzzugbinde 8 cm x 5 m, Typ Rosidal K von Lohmann & Rauscher.

Kurzzugbinde Rosidal

Die Anlage der Fischer-Verbände erfolgte durch den Autor persönlich.

Anmodellierter Fischerverband

2. Kompressionsstrumpf:

Für die Druckmessungen (im Jahre 2000) wurde ein Unterschenkelkompressionsstrumpf der Kompressionsklasse 2 verwendet.

So war der Strumpf im Jahr der Messungen(2000) verpackt

Typ: Sigvaris 503, A-D 10108, Ganzoni GmbH. Dr.Karl-Lenz-Strasse 35, D-87700 Memmingen, Farbe beige, fabrikneu, Größe: medium, lang, zehenfreies Modell.

Strumpf-Typenschild

Ergebnisse:

Die Grafik gibt den Arbeitsdruckverlauf beim flotten Gehen in der Ebene wieder.

Druckkurve

Die Druckspitzen von durchschnittlich 220 mm Hg unter dem Fischerverband werden nach einer Einlaufphase von ca. 500 Metern erreicht.

Displayanzeige während der Muskelsystole
Druckspitze beim Gehen

In der Muskeldiastole (Entspannung) fällt der Druck auf 30 mm Hg. Also 10 mm Hg unter den Anlagedruck.

Die Druckspitzen unter dem Kompressionsstrumpf erreichen 80 mm Hg in der Muskelsystole (Muskelanspannung). In der Muskeldiastole fällt der Druck auf den Ruhedruck (im Stehen) zurück.

Diskussion:

Die nachgewiesenen hohen Arbeitsdruckspitzen unter dem nicht nachgiebigen Zinkleimverband nach HEINRICH FISCHER rufen regelmäßig Ungläubigkeit und Staunen hervor.

Nach den ersten Messreihen rief ich deswegen den an der Entwicklung der Pivi-Messsonde mitbeteiligten Kollegen in der Universitätshautklinik Tübingen Dr. H. M. Häfner im Jahre 2001 an. Er konnte mir in einem persönlichen Gespräch die außerordentlich hohen Druckwerte in der Muskelsystole unter nicht nachgiebigen Verbandmedien (Gips) bestätigen. Auch ihm wurden damals diese hohen Messwerte, auf Kongressen vorgetragen, nicht geglaubt. Das Hauptargument der ungläubigen Zuhörer war regelmäßig, dass solch hohe Drucke zu Nekrosen führen müssten und deswegen nicht möglich seien. Aber die Druckspitzen sind äußerst kurz. Nur für ca. 1/10 Sekunde wird das jeweilige Druckmaximum erreicht. Deswegen führen sie weder zu Drucknekrosen, noch werden sie vom Patienten als unangenehm wahrgenommen.

Auch andere Arbeitsgruppen (Hach, Gerngroß, Willy et ali (1) ) treffen auf viel höhere Druckverhältnisse als erwartet am sich bewegenden Bein bei Verwendung von Druckmessern mit hoher Messwertfrequenz.

Der Arbeitsdruck unter dem Fischerverband ist neben der Gehgeschwindigkeit und dem Anstieg im Gelände vom gewählten Anlagedruck abhängig. Bei meiner Messung wurde der Anlagedruck gleich hoch dem Druck des Kompressionsstrumpfes der Kompressionsklasse 2 bei stehenden Probanden gewählt (40mmHg). Der Ruhedruck unter dem Kompressionsstrumpf steigt beim Stehen von 30 mm Hg auf 40 mm Hg.

Der Kompressionsstrumpf baut auch einen Arbeitsdruck (80 mm Hg) auf, hält ihn auch relativ konstant über die Zeit. Diese Ergebnisse entsprechen den Drücken unter Kompressionsstrümpfen (2) und Kurzzugbinden (10) anderer Autoren. Die Druckspitzen (80 mm Hg) sind verglichen mit einem nicht nachgiebigen Verband (220 mm Hg) klein. Somit ist auch die therapeutische Wirksamkeit auf das tiefe Venensystem keiner (8).

Unter dem nichtnachgiebigen Verbandsystem müssen ca.500 Meter im flotten Tempo gegangen werden bis sich die hohen Arbeitsdruckspitzen entwickeln. Erst dann steigt der Druck regelmäßig für ca. 1/10 Sekunde bei jedem Schritt auf seine Endhöhe.

Die Druckspitzen unter dem Fischerverband lassen sich bei Geschwindigkeitserhöhung und/oder Begehung einer Steigung noch deutlich steigern. Eine Geschwindigkeitserhöhung und eine Steigung des Geländes bewirken z.B. einen Druckspitzenanstieg auf 302 mm Hg.

Druckspitze bei Temposteigerung und Streckenanstieg

Der Minimaldruck fällt beim Laufen unter den Ruhedruck, bzw. Anlagedruck des Verbandes. Es resultieren für elastische Kompressionsmedien unerreichbare Druckamplituden.

Die hohen intermittierenden Drucke führen zu einer kräftigen Durchflutung auch tiefer gelegener Gewebeeinheiten. Dies ist wohl die Erklärung für die überlegene Heilkraft nicht nachgiebiger Verbandssysteme.

Seit Jahrzehnten ging die Forschung davon aus, dass Blutplasma wie Wasser fließt. Blut fließt jedoch anders als Wasser. Die Experten sprechen bei Blut von einer “Schubspannungs-Flüssigkeit” oder “nicht-Newtonschen” Flüssigkeit.

Die Fachbegriffe stehen für Flüssigkeiten, deren Art zu fließen sich unter bestimmten Voraussetzungen verändert: Manche werden mehr andere werden weniger zähflüssig. Blut wird im Gegensatz zu Wasser bei Druckanstieg flüssiger (11).

Dieses physikalische Phänomen erklärt unter anderem die herausragende Bedeutung der Kompressionstherapie in der Thrombosebehandlung.

Es bleibt festzuhalten:

  1. Die Messung des Anlagedrucks, bzw. des Ruhedrucks unter Kompressionssystemen ist irrelevant. Entscheidend für eine Therapie ist nur die Höhe des intermittierenden Arbeitsdrucks. Die Wertigkeit eines Kompressionsmediums korreliert mit der Höhe der Druckamplitude am sich bewegenden Bein.
  2. Der alte phlebologische Leitsatz “Therapie mit nicht nachgiebigen Verbänden, Halten des Ergebnisses mit Kompressionsstrümpfen” hat weiterhin Gültigkeit.

Der größte Nachteil unelastischer Verbandssysteme ist, dass die manuelle Fertigkeit der exakten Anmodulation erlernt werden muss. Anlagetechnische Fehler, wie Schnürfurchen und unregelmäßige Druckverteilung wirken sich bei derart druckpotenten Kompressionssystemen fatal aus. Ein nicht nachgiebiger Fixverband verzeiht keine Anlagefehler.

Literaturverzeichnis:

  1. Hach W, Gerngroß H, Präve F, Sterk J, Willy Ch, Hach-Wunderle V. Kompartmentsyndrome in der Phlebologie. Phlebologie 2000; 29: 1-11.
  2. Häfner H M, Jünger M. Hämodynamische Wirksamkeit unterschiedlicher Kompressionsstrümpfe bei Patienten mit chronischer venöser Insuffizienz. Vasomed 2000; 4; 168-169.
  3. Häfner H M, Jünger M. Neue Ergebnisse zur Kompressionstherapie. In Med-Report Blackwell Wissenschaft – Verlag GmbH Berlin 2000; 24:4
  4. Haid H., Messung des Kompressionsdruckes. In Haid-Fischer F, Haid H.Venen Fibel. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 1967: 89-92.
  5. Haid H, Hinger K J. Messung des Andruckes von Verbänden und Gummistrümpfen. In May R (Hrsg) Meßmethoden in der Venenchirurgie.Huber Verlag Bern 1971: 248-257.
  6. Holtzmann, M.: Der fixierte, nicht nachgiebige Unterschenkelkompressionsverband nach Heinrich Fischer. Vasomed 11/12 (1995) 484-487
  7. Klyscz T, Jünger M Häfner H M et al. Computerunterstützte In-vivo-Messung des Anpressdruckes von Kompressionsstrümpfen mit einem Mikrosondenmeßsystem. Phlebologie 1997; 26: 80-6.
  8. Partsch H. Grundsätze der Kompressionstherapie: Kompressionstherapie ist keine Alibimaßnahme. Symposium Medical BMV Berliner Medizinische Verlagsanstalt GmbH Berlin .2000; 12:12.
  9. Van der Molen H R. Kuiper J P. Druckmessung bei angelegten Kompressionsverbänden. Bemerkungen über den notwendigen Dauerkompressionsdruck nach durchgeführter Entödematisierung In: Ausgewählte phlebologische Neudrucke Edition -Varitex-Ausgabe 1962,59-69.
  10. Veraart JCJM, Daamen E, Neumann H A M. Short Stretch Versus Elastic Bandages: Effect of Time and Walking. Phlebologie 1997; 26: 19-24.
  11. M.Brust et al., Rheology of human blood plasma: Viscoelastic versus Newtonian behavior. Phys. Rev. Lett. 110, 2013 ,078305. Copyright (2013) by the American Physical Societ

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